Schleswig-Holstein. Das beliebte Urlaubsziel im Norden Deutschlands. An Nord- und Ostsee gelegen. Land der Deiche, Sandstrände, Inseln.

Im skandinavischen Weichbild verortet war Schleswig-Holstein über Jahrhunderte Teil des dänischen Gesamtstaats und blickt seit dem hohen Mittelalter auf eine hochmögende, zugleich bewegte Geschichte zurück. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die „Groten Mandränken“ 1362 und 1634. Die sagenumwobene von einer Sturmflut zerstörte Stadt Rungholt, die Seefahrt, und nicht zuletzt der Walfang, prägten über Jahrhunderte das Selbstverständnis der Menschen und haben bis heute nichts von ihrer Faszination verloren.
Zu dauerhafter Popularität hat vor allem der in Husum geborene und über lange Jahre wirkende Schriftsteller Theodor Storm (1819-1887) der eigenen Heimat in Gedichten und Novellen, wie der des „Schimmelreiters“ verholfen. Dies gilt in gleicher Weise auch für die Werke des expressionistischen Malers Emil Nolde (1867-1956), die allesamt längstens überregional unverzichtbarer Teil unserer kulturellen Identität geworden sind. Auf der Halbinsel Eiderstedt besitzt Nordfriesland zudem eine eigene Kirchenlandschaft.

Die Natur Schleswig-Holsteins ist von besonderem Reiz. Dem Meer zu großen Teilen und unter großen Opfern abgerungen ist Schleswig-Holstein heute nicht nur eine fruchtbare Region, sondern auch Rastplatz zahlreicher Zugvögel.
Das Land ist im Westen flach; in seinem Erscheinungsbild eigenwillig streng, mit hohem Himmel. Schließlich weist die Gegend hier keine Berge aus. Im Osten kennzeichnet die Linie der Endmoräne den Horizont. Das Auge streift kleine Hügel und steilabfallende Küstenstreifen. Nord- und Ostsee begrenzen das Land zum Westen und zum Osten. Infolge der Einbringung zahlreicher Windräder, die den wirtschaftlichen Wandel und eine viel diskutierte Energiewende ermöglichen, ändert sich der Charakter der Landschaft jedoch mehr und mehr. Mit anderen Worten: Plastisch-künstlerisch handelt es sich bei Schleswig-Holstein um eine veritable Herausforderung, die es zu bewältigen gilt, die jedoch im Gegenzug besondere Chancen bietet.

Robert Schad sucht gerade diese besonderen Orte. Im Zusammengehen mit der jeweiligen Geschichte, deren Bogen durch seine Kunst bis in die Gegenwart reicht, lösen seine Arbeiten einen vielseitig interessanten, kulturell relevanten Prozess im Besonderen (Natur-) ambiente aus.

Doch warum Schleswig-Holstein? Wie kam es zu der Idee ein Skulpturenprojekt für den Norden zu entwickeln?

Anlässlich der Auflösung der Stiftung Wilhelm Loth (1920-1993), traf ich den Loth-Schüler Robert Schad 2018 erstmals in der Auflösungskomission. Ich hatte seinerzeit über Loth promoviert mit dem mich ein freundschaftlichen Band verband. Nun verfolgte ich die Generationenlinie der Loth-Schüler, über Franz Bernhard (1934-2013), den ich 2015 in Niebüll ausstellte, bis zu deren jüngstem Vertreter Robert Schad (1953*). Schnell war mir klar eine Ausstellung mit diesem beeindruckenden Bildhauer realisieren zu wollen. Es folgte die Einladung nach Niebüll zu einer Ausstellung im Richard Haizmann Museum, das ich in der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Bildhauermuseen und Skulpturensammlungen e.V. vertrat. Schads Ausstellung fand im Winter 2019 statt. Es war bis dahin die nördlichste Destination des Ravensburgers.

Erste Begegnungen mit dem Norden Deutschlands gab es bereits durch Ausstellungen in der Kunsthalle Wilhelmshafen (1993), in der Galerie Rolf Ohse in Bremen (1997). In 2020/21 folgte das Verbundprojekt „BREMEN VIERKANT“, das als Kooperation des Gerhard-Marcks-Hauses mit der Stiftung Haus Kränholm, dem Atelierhaus Roter Hahn und weiteren Bremer Kulturinstitutionen realisiert wurde. Neben zwei Kunst am Bau Projekten in Bremen (1998 und 2005) kam es 2003 mit dem Auftrag für eine großformatige Skulptur durch den Kunstraum Syltquelle Rantum zu ersten Berührungen mit nördlichen durch Wind und Wasser geprägten Landstrichen.

Die Ausstellung in Niebüll und verschiedene damit verbundene Begegnungen mit Wasser, Watt und Wellen gaben jedoch den entscheidenden Impuls für ‚BLICKWEIT‘.

Seit Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten ist Robert Schad einer der renommiertesten, international erfolgreichen deutschen Plastiker. Nicht nur, dass seine künstlerischen Arbeiten vielfach Preise erhielten und seine Werke in großen Ausstellungen zu sehen waren. Als Eisenplastiker gewann Schad gewichtige Wettbewerbe, wobei er vor allem Großplastiken in oft gewaltigen Dimensionen schuf, die er zum einen in öffentlichen Parks aufstellt, zum anderen mit vorgegebener Architektur konfrontiert. Wie wenige plastisch arbeitende Künstler nimmt Schad erkennbar eine konsequent konzipierte und systematisch angelegte, zugleich sich entwickelnde Position ein. Dennoch scheint nichts, zumindest auf den ersten Blick, unabdingbar vorgegeben, sondern resultiert vielfach aus der vorgefundenen Aufgabe heraus. Schad’s Plastiken behaupten sich in unterschiedlichem Ambiente, ob nun in einem öffentlichen Park oder auf freiem Feld im Dialog mit der Natur, gegenüber historischer oder zeitgenössischer Architektur oder in geschlossenen Räumen, die sie besetzen und denen sie auf unterschiedliche Weise ein verändertes Gepräge vermitteln. Das gelingt Schad ein ums andere Mal, indem er sich unumwunden auf das vorgefundene Ambiente und die daraus resultierende individuelle Aufgabe einlässt und dieses neu bewertet. Ein künstlerisches Unterfangen, das freilich in einer plastisch-dezidierten Position gründet. Seine Werke bestechen nicht nur durch ihr formales innovatives Potential, sondern vor allem durch die plastische Kraft ihrer tatsächlichen und somit unmittelbar erlebbaren Präsenz. Gerade sie ist es jedoch, die er in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellt, und sie mutiert alsbald zu seinem eigentlichen Thema.

Einmal mehr stellt Schad in den individuell vorgegebenen Konstellationen die Frage, wie Plastik definiert werden kann und was sie überhaupt zu leisten vermag. Das gelingt, indem er zwar gegenseitig bezogene Positionen einnimmt, die er aber dennoch auf die besonderen Materialeigenschaften des geschmiedeten Eisens zurückführt. Mag das in Rauminstallationen vermittels der Schichtung von individuell geschnittenen Platten geschehen oder aber durch raumgreifende Setzungen. Es sind die besonderen plastischen Eigenschaften des Stahls, der jegliche Schwere mit scheinbarer Leichtigkeit überwindet und dennoch, trotz seines spezifischen Gewichtes, offenbar keinerlei Einschränkungen hinnehmen muss. Schads Plastiken greifen oft weit in den Raum, und sie erzeugen Gebilde, die weit mehr auf grafische Begründungen zurückzuführen sind, als dass sie tektonisch-statischen Vorgaben folgen. Und das selbst in seinen bodenbezogenen Schichtungen, die dennoch keineswegs den Anflug von Schwere kennen. In diesem Sinne weisen Schad‘s Plastiken einen reflexiven Fond aus, wobei sie eine in zahllosen mit dem breiten Kreidestift ausgeführten Zeichnungen gefundene Nähe zu ihrem konzeptionellen Grund erklären. Das gelingt hingegen in den großen plastischen Formulierungen, die er vermittels harter Kanten klar und unmissverständlich ausgebildete Lineament in plastischen Drehungen, einer einsehbaren Geometrisierung der Teilformen und der vereinheitlichenden Farbe des Rostes inszeniert. Raum ist somit nicht vorgegeben, sondern weist vielmehr eine offene Struktur aus, die sich im unmittelbaren Erleben entwickelt. D.h., er lässt eine diaphane Nähe zu, ebenso gegenüber den Teilformen wie gegenüber den Objekten seines Umfeldes. Und das ebenso in Relation zu der vorgefundenen Architektur wie gegenüber der Natur. Auf besondere Weise generalisierend, gerade weil die plastische Komposition in ihrer Herleitung keine wirklichen Grenzen zwischen grafischer Konzeption und deren plastischer Fortentwicklung kennt. Die neutral-weiße Papierfläche und der offene Raum erklären einen gleichwertigen Grund. Die Erfahrung von Nähe und Ferne wird aufgehoben. Konstellationen entwickeln sich aus selbstreflexiv-freien Formen. Sie lassen eine ungezwungen wirkende, wenn nicht gar Abbildlichkeit zu und suchen zugleich die Korrespondenz zu ihrem Umfeld, das wiederum zu einem Teil der plastischen Gesamtanlage erklärt werden kann, wie diese im Umkehrschluss innerhalb ihrer Umgebung ebenso gleichgewichtig wie gleichwertig aufgeht. Schad‘s Plastiken lösen einen dynamisch-plastisch Prozess aus, innerhalb dessen er neuerlich vorgegebene Analogien sucht. Wirklichkeit wächst gleichsam dem Betrachter zu, und er fährt sie ohne apodiktische, gar gesetzlich unveräußerliche Vorgaben. Im Kopf wie im Auge. Als reale Erfahrung wie als ein darüberhinausgehendes, emotional wie gedanklich begründbares Resultat.