»Warum Schleswig-Holstein?« von Uwe Haupenthal

Schleswig-Holstein. Das beliebte Urlaubsziel im Norden Deutschlands. An Nord- und Ostsee gelegen. Land der Deiche, Sandstrände, Inseln.

Im skandinavischen Weichbild verortet war Schleswig-Holstein über Jahrhunderte Teil des dänischen Gesamtstaats und blickt seit dem hohen Mittelalter auf eine hochmögende, zugleich bewegte Geschichte zurück. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die „Groten Mandränken“ 1362 und 1634. Die sagenumwobene von einer Sturmflut zerstörte Stadt Rungholt, die Seefahrt, und nicht zuletzt der Walfang, prägten über Jahrhunderte das Selbstverständnis der Menschen und haben bis heute nichts von ihrer Faszination verloren.
Zu dauerhafter Popularität hat vor allem der in Husum geborene und über lange Jahre wirkende Schriftsteller Theodor Storm (1819-1887) der eigenen Heimat in Gedichten und Novellen, wie der des „Schimmelreiters“ verholfen. Dies gilt in gleicher Weise auch für die Werke des expressionistischen Malers Emil Nolde (1867-1956), die allesamt längstens überregional unverzichtbarer Teil unserer kulturellen Identität geworden sind. Auf der Halbinsel Eiderstedt besitzt Nordfriesland zudem eine eigene Kirchenlandschaft.

Die Natur Schleswig-Holsteins ist von besonderem Reiz. Dem Meer zu großen Teilen und unter großen Opfern abgerungen ist Schleswig-Holstein heute nicht nur eine fruchtbare Region, sondern auch Rastplatz zahlreicher Zugvögel.
Das Land ist im Westen flach; in seinem Erscheinungsbild eigenwillig streng, mit hohem Himmel. Schließlich weist die Gegend hier keine Berge aus. Im Osten kennzeichnet die Linie der Endmoräne den Horizont. Das Auge streift kleine Hügel und steilabfallende Küstenstreifen. Nord- und Ostsee begrenzen das Land zum Westen und zum Osten. Infolge der Einbringung zahlreicher Windräder, die den wirtschaftlichen Wandel und eine viel diskutierte Energiewende ermöglichen, ändert sich der Charakter der Landschaft jedoch mehr und mehr. Mit anderen Worten: Plastisch-künstlerisch handelt es sich bei Schleswig-Holstein um eine veritable Herausforderung, die es zu bewältigen gilt, die jedoch im Gegenzug besondere Chancen bietet.

Robert Schad sucht gerade diese besonderen Orte. Im Zusammengehen mit der jeweiligen Geschichte, deren Bogen durch seine Kunst bis in die Gegenwart reicht, lösen seine Arbeiten einen vielseitig interessanten, kulturell relevanten Prozess im Besonderen (Natur-) ambiente aus.

Doch warum Schleswig-Holstein? Wie kam es zu der Idee ein Skulpturenprojekt für den Norden zu entwickeln?

Anlässlich der Auflösung der Stiftung Wilhelm Loth (1920-1993), traf ich den Loth-Schüler Robert Schad 2018 erstmals in der Auflösungskomission. Ich hatte seinerzeit über Loth promoviert mit dem mich ein freundschaftlichen Band verband. Nun verfolgte ich die Generationenlinie der Loth-Schüler, über Franz Bernhard (1934-2013), den ich 2015 in Niebüll ausstellte, bis zu deren jüngstem Vertreter Robert Schad (1953*). Schnell war mir klar eine Ausstellung mit diesem beeindruckenden Bildhauer realisieren zu wollen. Es folgte die Einladung nach Niebüll zu einer Ausstellung im Richard Haizmann Museum, das ich in der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Bildhauermuseen und Skulpturensammlungen e.V. vertrat. Schads Ausstellung fand im Winter 2019 statt. Es war bis dahin die nördlichste Destination des Ravensburgers.

Erste Begegnungen mit dem Norden Deutschlands gab es bereits durch Ausstellungen in der Kunsthalle Wilhelmshafen (1993), in der Galerie Rolf Ohse in Bremen (1997). In 2020/21 folgte das Verbundprojekt „BREMEN VIERKANT“, das als Kooperation des Gerhard-Marcks-Hauses mit der Stiftung Haus Kränholm, dem Atelierhaus Roter Hahn und weiteren Bremer Kulturinstitutionen realisiert wurde. Neben zwei Kunst am Bau Projekten in Bremen (1998 und 2005) kam es 2003 mit dem Auftrag für eine großformatige Skulptur durch den Kunstraum Syltquelle Rantum zu ersten Berührungen mit nördlichen durch Wind und Wasser geprägten Landstrichen.

Die Ausstellung in Niebüll und verschiedene damit verbundene Begegnungen mit Wasser, Watt und Wellen gaben jedoch den entscheidenden Impuls für ‚BLICKWEIT‘.

Seit Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten ist Robert Schad einer der renommiertesten, international erfolgreichen deutschen Plastiker. Nicht nur, dass seine künstlerischen Arbeiten vielfach Preise erhielten und seine Werke in großen Ausstellungen zu sehen waren. Als Eisenplastiker gewann Schad gewichtige Wettbewerbe, wobei er vor allem Großplastiken in oft gewaltigen Dimensionen schuf, die er zum einen in öffentlichen Parks aufstellt, zum anderen mit vorgegebener Architektur konfrontiert. Wie wenige plastisch arbeitende Künstler nimmt Schad erkennbar eine konsequent konzipierte und systematisch angelegte, zugleich sich entwickelnde Position ein. Dennoch scheint nichts, zumindest auf den ersten Blick, unabdingbar vorgegeben, sondern resultiert vielfach aus der vorgefundenen Aufgabe heraus. Schad’s Plastiken behaupten sich in unterschiedlichem Ambiente, ob nun in einem öffentlichen Park oder auf freiem Feld im Dialog mit der Natur, gegenüber historischer oder zeitgenössischer Architektur oder in geschlossenen Räumen, die sie besetzen und denen sie auf unterschiedliche Weise ein verändertes Gepräge vermitteln. Das gelingt Schad ein ums andere Mal, indem er sich unumwunden auf das vorgefundene Ambiente und die daraus resultierende individuelle Aufgabe einlässt und dieses neu bewertet. Ein künstlerisches Unterfangen, das freilich in einer plastisch-dezidierten Position gründet. Seine Werke bestechen nicht nur durch ihr formales innovatives Potential, sondern vor allem durch die plastische Kraft ihrer tatsächlichen und somit unmittelbar erlebbaren Präsenz. Gerade sie ist es jedoch, die er in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellt, und sie mutiert alsbald zu seinem eigentlichen Thema.

Einmal mehr stellt Schad in den individuell vorgegebenen Konstellationen die Frage, wie Plastik definiert werden kann und was sie überhaupt zu leisten vermag. Das gelingt, indem er zwar gegenseitig bezogene Positionen einnimmt, die er aber dennoch auf die besonderen Materialeigenschaften des geschmiedeten Eisens zurückführt. Mag das in Rauminstallationen vermittels der Schichtung von individuell geschnittenen Platten geschehen oder aber durch raumgreifende Setzungen. Es sind die besonderen plastischen Eigenschaften des Stahls, der jegliche Schwere mit scheinbarer Leichtigkeit überwindet und dennoch, trotz seines spezifischen Gewichtes, offenbar keinerlei Einschränkungen hinnehmen muss. Schads Plastiken greifen oft weit in den Raum, und sie erzeugen Gebilde, die weit mehr auf grafische Begründungen zurückzuführen sind, als dass sie tektonisch-statischen Vorgaben folgen. Und das selbst in seinen bodenbezogenen Schichtungen, die dennoch keineswegs den Anflug von Schwere kennen. In diesem Sinne weisen Schad‘s Plastiken einen reflexiven Fond aus, wobei sie eine in zahllosen mit dem breiten Kreidestift ausgeführten Zeichnungen gefundene Nähe zu ihrem konzeptionellen Grund erklären. Das gelingt hingegen in den großen plastischen Formulierungen, die er vermittels harter Kanten klar und unmissverständlich ausgebildete Lineament in plastischen Drehungen, einer einsehbaren Geometrisierung der Teilformen und der vereinheitlichenden Farbe des Rostes inszeniert. Raum ist somit nicht vorgegeben, sondern weist vielmehr eine offene Struktur aus, die sich im unmittelbaren Erleben entwickelt. D.h., er lässt eine diaphane Nähe zu, ebenso gegenüber den Teilformen wie gegenüber den Objekten seines Umfeldes. Und das ebenso in Relation zu der vorgefundenen Architektur wie gegenüber der Natur. Auf besondere Weise generalisierend, gerade weil die plastische Komposition in ihrer Herleitung keine wirklichen Grenzen zwischen grafischer Konzeption und deren plastischer Fortentwicklung kennt. Die neutral-weiße Papierfläche und der offene Raum erklären einen gleichwertigen Grund. Die Erfahrung von Nähe und Ferne wird aufgehoben. Konstellationen entwickeln sich aus selbstreflexiv-freien Formen. Sie lassen eine ungezwungen wirkende, wenn nicht gar Abbildlichkeit zu und suchen zugleich die Korrespondenz zu ihrem Umfeld, das wiederum zu einem Teil der plastischen Gesamtanlage erklärt werden kann, wie diese im Umkehrschluss innerhalb ihrer Umgebung ebenso gleichgewichtig wie gleichwertig aufgeht. Schad‘s Plastiken lösen einen dynamisch-plastisch Prozess aus, innerhalb dessen er neuerlich vorgegebene Analogien sucht. Wirklichkeit wächst gleichsam dem Betrachter zu, und er fährt sie ohne apodiktische, gar gesetzlich unveräußerliche Vorgaben. Im Kopf wie im Auge. Als reale Erfahrung wie als ein darüberhinausgehendes, emotional wie gedanklich begründbares Resultat.


»Raum und Zeit gefangen in der Form« von Bülent Gündüz

„Die Linie darf alles. Sie ist Voraussetzung für absolute Freiheit.“ ROBERT SCHAD

„Blickweit – Skulpturen für den Norden“ nennt Robert Schad sein aktuelles Ausstellungsprojekt in Schleswig-Holstein. Blickweit? Im Duden sucht man den Begriff vergebens. Kein Wunder handelt es sich doch um eine Wortneuschöpfung des Künstlers. Ein bisschen klingt es nach dem Adjektiv des Substantivs „Weitblick“ und irgendwie auch nach dem Antonym von „blickdicht“. Kaum besser könnte man Schads Arbeit charakterisieren. Seine Plastiken öffnen den Blick für die Umgebung und verändern unseren Blick auf Stadt und Landschaft. Die Werke ermöglichen einen Perspektivwechsel und setzt neue Reize. Orte, die wir schon lange kennen und die uns vertraut vorkommen, verändern sich. Durchblicke, Sichtachsen und Ausblicke werden neu geschaffen, verstellt oder betont.

Schads bevorzugtes Arbeitsmaterial im Außenbereich ist massiver Stahl mit einem quadratischen Querschnitt von 100 Millimetern. Der korrodierte Stahl leuchtet rostrot – wird er feucht, schimmert er schwarz. Der industriell hergestellte Baustahl fasziniert durch seine Präsenz. Auch wenn der Mensch das Material durch den Hochofen veredelt hat, ist das Ausgangsmaterial ein Naturprodukt, das dem Boden entnommen wurde. Schad bringt das vom Menschen geformte Produkt zurück in die Landschaft.

Um Schads Werk zu verstehen, muss man seinen Ansatz verfolgen. Nicht nur dass Schad ein herausragendes zeichnerisches Oeuvre schafft, auch sein plastisches Werk hat seinen Ursprung in der Zeichnung. Immer wieder nutzt er in ruhigen Stunden Notizzettel und „kritzelt“ Linien. Häufig entdeckt er dabei Formen, die sich wiederholen und ihn reizen. Diese Arbeitsweise erinnert an die „Écriture automatique“ der Surrealisten und das automatische Zeichnen der Abstrakten Expressionisten, die versuchten, das Unbewusste auf das Papier zu bannen, um mit größtmöglicher Subjektivität den Ausdruck des Innersten festzuhalten.

Hat Schad Formen ausgemacht, die ihn interessieren, setzt er die graphischen Notationen mit Maquetten aus 10 Millimeter dünnen Stahlstäben spontan um. Ist er überzeugt, dass sich das Werk in großem Maßstab realisieren lässt, beginnt er mit der Großplastik. Er schneidet sich unterschiedliche lange Stücke der Vierkantstahlstränge zurecht und schweißt diese Segmente dann mit Drehung und Neigung aneinander. So wächst von unten nach oben eine Plastik, welche die Form der Zeichnungen aufnimmt, und erst jetzt endgültige Gestalt annimmt. Das aleatorische Element spielt dabei eine nicht unwesentliche Rolle, wird aber durch das bewusste Anordnen der Fragmente im Entstehungsprozess gesteuert. Man könnte es einen „gesteuerten Zufall“ nennen. Die Nahtstellen werden dann verschliffen und erscheinen organisch.

Aus den unterschiedlich langen Stahlstücken entwickelte Schad ein schier unendliches Formenvokabular. Der Bildhauer zeichnet mit dem Stahl Linien in den Raum. Steil in den Himmel schießende Linien, in Ruhe verharrende, expressiv sich windende und in ruhigem Rhythmus gleitende kommen zusammen. Die Bewegung der Linie ist nie ganz gerade: Sie zuckt und windet sich, wechselt die Richtung und schwenkt abrupt um. Die unterschiedlich langen Stücke zwingen dem Stahl einen Rhythmus auf, erschließen den Raum oder ziehen sich daraus zurück und verdichten sich. Die expressive Spannung entsteht aus der sorgsamen, aber labilen Balance aus gegenläufigen und gleichgerichteten Kräften. Die Arbeiten leben von der Ambivalenz, die aus Form und Material erwächst, aus Schwere und Leichtigkeit, aus Bewegung und Immobilität, Dynamik und Ruhe, Abstraktion und Figuration, aber auch aus gesteuertem Kalkül und dem aus der Emotion erwachsenden Zufall.

Mit dem Material Stahl kam Schad an der Kunstakademie in Karlsruhe in Kontakt, wo er zwischen 1974 und 1980 studierte. Er besuchte zuerst die Zeichenklasse von Albrecht von Hanke, der ihn auf die Linie als primäres Ausdrucksmittel brachte. Danach wechselte er zum Bildhauer Wilhelm Loth, dem er die Raumwerdung der Linie verdankte. Franz Bernhard, mit dem Schad während seiner Studienzeit einen intensiven Austausch pflegte, brachte ihn schließlich auf sein bevorzugtes Material: den Formstahl.  Der Student war begeistert von Bernhards sinnlichem Umgang mit dem Werkstoff. Auf der Suche nach einem Material mit eigener Körperlichkeit lag die Nutzung von Stahl für den jungen Künstler nahe.

Schad begann schon während des Studiums mit vorgefertigten Stahlteilen zu experimentieren. Er baute Gestelle, die er mit Stoffen bezog und damit kokonartige Gebilde schuf. Anfang der 1980er Jahre begann Schad stärker linear zu arbeiten. Aus Holzlatten und verschweißten Stahlstäben schuf er zu dieser Zeit Plastiken, die vom Materialgegensatz leben und das Zeichnerische der Linie mit der Erfahrung des Raumes durch das Material verbinden.

Im Jahr 1989 bezog Schad ausgestattet mit einem Lehmbruck-Stipendium ein Atelier in den Duisburger Hüttenwerken von Krupp Mannesmann und arbeitete dort zwei Jahre lang intensiv. Schad begann aus massivem Stahl Plastiken zu schweißen, die Vorstellungen von Dynamik und Leichtigkeit evozierten. Er war nun dort, wo sein Arbeitsmaterial hergestellt wurde, und erlebte das Material und seine Herstellung in industriellen Dimensionen. Der tonnenschwere Stahl, der sich jeder leichten und spontanen Bearbeitung widersetzt, wurde immer interessanter für den Künstler und Schad begann mit der Schaffung erster Großplastiken. Schon damals entstanden die bis heute charakteristischen Liniengebilde.

Neben Albrecht von Hanke, Wilhelm Loth und Franz Bernhard übte der Tänzer und Choreograph Gerhard Bohner großen Einfluss auf Schad aus. Bohner war in den 1960er Jahren zu einem Pionier des deutschen Tanztheaters aufgestiegen und arbeitete an renommierten Bühnen. Nachdem das Tanztheater Bremen seinen Vertrag als Choreograph 1981 nicht verlängert hatte und Bohner nun kein Ensemble mehr zur Verfügung stand, war er gezwungen, wieder selbstständig als Tänzer zu arbeiten. Bohner war zu diesem Zeitpunkt fast 50 Jahre alt und nach den Konventionen des Tänzerberufes viel zu alt. Aus der wachsenden Reduzierung der eigenen körperlichen Mittel entwickelt Bohner neue Choreografien, die auch ohne körperliche Höchstleistungen nichts an Dynamik und Kraft verloren. Bohner ersetzt die physische Leistung durch die Qualität der Bewegung und arbeitete vor allem mit den Gliedmaßen. Er ging dazu über, Bewegung und choreographische Ideen nur anzudeuten und damit den Tanz assoziativ zu öffnen. So entwickelte er eine neue Form des Ausdruckstanzes.[1]

Bohner und Schad arbeiteten 1988/89 ein Jahr lang in einem Raum der Berliner Akademie der Künste, den Schad mit Fragmenten seiner „stählernen Linien“ füllte. Mit großer Distanz zum eigenen Körper nahm Bohner die Formen der Werke auf und setzte sich zu Johann Sebastian Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ damit auseinander. Die Choreografie entwickelte sich entlang der Linien, die dem Tänzer Bewegungsimpulse gaben, die dieser aufnahm, reflektierte und tänzerisch ausdrückte. Bohner nutzte den eigenen Körper wie eine Skulptur und führte den Tanz nahe an die Abstraktion, weil sein Tanz keine Geschichten mehr erzählte, sondern ästhetischer Ausdruck der eigenen Körperlichkeit war. Der Dialog aus Tanz und Plastik beeindruckte Schad nachhaltig. Er erkannte, wie viel Tänzerisches seine Linien enthielten und wie stark sich damit Emotion ausdrücken ließ. Er selbst macht sich seither zum Choreografen seiner Plastiken, die er stellvertretend für sich durch den Raum tanzen lässt.

In der Folge veränderten sich Schads Arbeiten. Die zuvor stärker geometrisch ausgerichteten Werke wurden nun in der Form anthropomorpher und öffneten sich immer stärker Assoziationsräumen. Vorbild wurden für Schad die Extremitäten des Menschen, die eine Addition gerader Teile sind. Schad erklärt: „Ich benutze jeden Tag meine Hände. Meine Finger sind aus geraden Teilen zusammengefügt und erst durch die Gelenke wird Bewegung möglich. So bildet sich eine Utopie des Denkens, die vom Körper kommt.“[2] Seine Arbeiten sind so immer auch Artikulation von eigener Bewegung.

Denkt man an Stahl, so denkt man an Schwere, Stabilität, Immobilität und Masse. Wir assoziieren das Material mit Maschinen und Konstruktionen. Doch Schad hintergeht diese Erwartungshaltung. Der Eindruck von Leichtigkeit entsteht durch den minimalen Bodenkontakt der Plastiken und das dynamische Linienspiel. Ruhe und Bewegung scheinen sorgsam austariert. So entsteht das Gefühl der mühsam ausbalancierten Instabilität, die zu zerbrechen droht. Nicht ohne Schmunzeln verrät der Künstler, dass er mit dem Material versuche, die eigene körperliche Schwere zu überwinden und die Arbeiten federleicht wirken zu lassen.[3] Die physische Schwere des Stahls weicht einer visuellen Leichtigkeit.

In den 2010er Jahren widmete Schad dem Tanz einen eigenen Ausstellungszyklus und arbeitet seit vielen Jahren immer wieder intensiv mit Tänzerinnen und Tänzern zusammen. Der Eindruck tanzender Körper kann kaum verwundern, wenn man die Linie als Ausdruck der eigenen Körperlichkeit des Künstlers wahrnimmt, wie Schad dies selbst beschreibt. Das Transitorische spielt in Schads Œuvre eine bedeutende Rolle. Es scheint so, als sei die Plastik eine im Moment eingefangene Bewegung oder ein Innehalten. Manchmal erscheinen die Werke auch als gezeichnete Spuren von Bewegung oder Modell einer Bewegungssequenz. So visualisiert der Bildhauer nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit. Der Verlauf der Linie wird zum Ausdruck von Zeitlichkeit. Der Künstler visualisiert Raum und Zeit immer wieder als allgegenwärtige Größen, die einander durchdringen.

Neben den Assoziationen an die Bewegung menschlicher Körper erinnert das additive Aneinanderfügen der einzelnen Abschnitte aber auch an ein vegetatives Wachsen. Nicht selten scheinen diese aus dem Boden gewachsen zu sein. Einige haben ein vegetabiles Aussehen und Scheinen Halmen gleich zu sprießen oder muten wie florale Gebilde, Bäume oder Sträucher an. Die gelenkartigen Verwachsungen erinnern dann an die Knoten von Triebabschnitten bei Gräsern und anderen Pflanzen.

Bis auf wenige Ausnahmen wie etwa das Kruzifix „A CRUZ ALTA“ (2007) für den portugiesischen Marienwallfahrtsort Fatima sind Schads Arbeiten allerdings kein Abbild und keine Illustration einer real sichtbaren Wirklichkeit oder Gegenständlichkeit. Nichtsdestotrotz sind sie nicht abstrakt konstruiert, sondern haben ihren Ursprung im Realen und sind Reflexion der Wirklichkeit, wie sie Schad sieht und ein Ausdruck seiner Erfahrungen, Gefühle und Gedanken.

Die Werke haben kein narratives Element, erzählen also keine Geschichte, die sich entschlüsseln ließe. Schad selbst hat bei jedem Werk eigene Assoziationen, doch diese spielen für die Rezeption seiner Kunst keine große Rolle. Entscheidend ist, was der jeweilige Rezipient im Werk erkennt. Die Interpretationen des Betrachters sind geprägt von dessen Erlebnissen, Träumen, Wünschen und seinen eigenen Gedanken und Gefühlen.

Auch wenn die Linie als verbindendes Element die Werke bestimmt, arbeitet Schad nicht seriell. Die Einzelwerke sind keine Variation des immergleichen Motivs und keine Aneinanderreihung von rein formalen Gestaltungsprinzipien, wie sie etwa in der konkret-konstruktiven Kunst vorherrschen. Schad untersucht nicht die Wirkung der Variation. Seine Plastiken sind individuelle „Charaktere“, die Ausdruck von Schads sehr persönlichen inneren Zuständen sind.[4] Schad nutzt das Material zur Darstellung seines inneren Selbstbildes, seines Denkens und Fühlens und seiner persönlichen Reflexion der Welt. Dieser fast schon expressionistisch anmutende Ansatz unterscheidet ihn explizit von den anderen großen Stahlbildhauern unserer Zeit.

Die Titel helfen bei der Entschlüsselung nicht weiter. Mal entstehen diese aus Schads eigenen Assoziationen heraus, dann wieder sind es onomatopoetische Erfindungen, die durch eine rhythmische oder melodische Aussprache entstehen. Die Titel verrätseln das Werk mehr, als sie erklären und entziehen damit die Grundlage für allzu schnelle Verknüpfungen. So muss sich der Betrachter vor allem auf sich selbst verlassen. Schad möchte damit zum sukzessiven Schauen verführen und zum Denken anregen.

Zusätzlich interagiert der Ort mit den Arbeiten und schafft weitere Möglichkeiten zur Assoziation. Je nach architektonischem oder landschaftlichem Kontext entstehen andere Interpretationsmöglichkeiten. Ort und Werk verschränken sich in einem Dialog. Kaum ein zweiter Bildhauer hat es geschafft, ein Werk zu erarbeiten, das meist ohne Bezug zum Ort entsteht und doch an fast jedem Ort „funktioniert“ und ein Eigenleben entwickelt, das den Umraum aufnimmt und werkimmanent macht.

Werk und Raum gehen eine fast symbiotische Beziehung ein und beeinflussen sich gegenseitig. Das Werk verändert den Raum und ist sichtbare Intervention, geradezu ein Fremdkörper, an dem das Auge mindestens einen Moment irritiert festhält. Beim genaueren Betrachten verschmilzt das Werk jedoch schnell mit dem Umraum und wirkt, als sei es dafür gemacht. Nicht selten umrahmt das Material ein Volumen und begrenzt es, ohne es vollständig zu umschließen.

Wer einer Plastik von Schad begegnet, schaut erst einmal intensiv. Fast unwillkürlich folgt das Auge der Linie. Man beginnt sich um das Werk zu bewegen und plötzlich wird es vor dem Auge lebendig. Nahezu jede Plastik verändert sich bei Bewegung des Betrachters. Die Linie steht oder schlängelt sich durch den Raum, verdichtet sich, ballt sich zusammen und läuft wieder auseinander, öffnet und schließt sich und definiert so als Rauminszenierung den Positiv- und Negativraum. Die Linie ist bei Schad nie Begrenzung des Raumes, sie durchdringt ihn und visualisiert ihn. Kunstwerk, Raum und Betrachter interagieren stetig miteinander und sind im steten Dialog.

Pilzen gleich scheinen die Plastiken aus dem Boden zu sprießen und durch ein unsichtbares Myzel miteinander verbunden zu sein. Zugleich verbindet dieses Myzel aber auch die Ausstellungsorte miteinander und schafft Bezüge und Verbindungen. Inzwischen haben Schads Ausstellungsprojekte längst eine europäische Dimension. Ausgehend von seinem Wohnsitz im französischen Larians und seinem Zweitatelier in dem nordportugiesischen Örtchen Chamosinhos reisen immer neu zusammengestellte Einzelwerke aus dem Gesamtwerk durch Westeuropa, machen Station in einer Region, verweilen dort und ziehen dann weiter. Diese „Tournee“ begann 2011 im baden-württembergischen Altshausen, es folgten Heidelberg (2012), Linz (2013), Landshut (2014), das italienische Pergine (2015), die Bretagne (2016), Portugal (2017), Metz/Saarlouis (2018), Oberschwaben (2019), Bremen, Lahr und Bedburg-Hau (2020) und die französischen Région Bourgogne-Franche-Comté (2023). Nun machen 22 Werke Station in der Region zwischen Nord- und Ostsee.

Indem Schad die großformatigen Werke in den öffentlichen Raum bringt, senkt er Hemmschwellen für die Begegnung mit der Kunst. Seine Arbeiten begegnen uns während der Ausstellungsphasen im Alltag und häufig, ohne dass wir darauf vorbereitet sind und uns besonders darauf einlassen müssen. Schad bringt die Kunst zu den Menschen. Seine Arbeit ist immer eine Aufforderung zum Schauen, ein Angebot an den bewusst oder zufällig vorbeischlendernden oder hektisch getriebenen, innezuhalten und sich auf das Werk einzulassen.

Aber Schads Plastiken brauchen diesen öffentlichen Umraum auch. Natürlich „funktionieren“ sie auch im musealen Raum, doch ihre Bestimmung ist eine andere. Ob und wie die Arbeiten sich interpretieren lassen, hängt nicht nur vom individuellen Betrachter ab, sondern auch von der Umgebung der Arbeiten. Stehen die Plastiken im urbanen Raum, ist eine architektonische oder körperliche Interpretation wahrscheinlich, stehen sie in der Natur, evozieren sie eher Assoziationen an Pflanzen. So lädt schon der Umraum der Plastik diese auf, urbane und landschaftliche Kontexte verändern unseren Blick auf das Werk. Aber die Arbeiten transformieren sich nicht nur im Raum, sie verändern diesen auch. Mal fügen sie sich harmonisch ein und scheinen am Ort gewachsen zu sein, dann wieder sind sie Fremdkörper und fordern zur Neuentdeckung des Raumes auf. Manchmal verstärken sie die Situation des Ortes, dann wieder wirken sie harmonisierend auf ihre Umgebung.

Die Aufstellung der Plastiken mag willkürlich erscheinen, ist aber von Schad sorgsam ausgeklügelt. Für den Künstler laden sich die Werke an ihren temporären Standorten auf. Sie erhalten ein „Ortsgedächtnis“ und nehmen Zeit und Raum auf. Bei Standortwechseln bezieht Schad diese Erinnerungen an den jeweils neuen Standorten in die Positionierung ein. So wachsen die Plastiken mit ihren Reisen und Standortwechseln. Zugleich laden sie aber auch den Ort auf. Dessen gewahr wird man meist erst, wenn sie wieder entfernt werden. Der liebgewordene Anblick fehlt, es entsteht eine Lücke, die nicht nur visuell ist.

Bülent Gündüz

[1] Vgl. Hedwig Müller: Bewegungsskulpturen – Gerhard Bohners Soloprogramme. In: Gerhard Bohner – Tänzer und Choreograph. Edition Hentrich, Berlin 1991, S. 113
[2] Gespräch mit Robert Schad, 17. Oktober 2018
[3] Gespräch mit Robert Schad, 17. Oktober 2018
[4] Gespräch mit Robert Schad am 14. Januar 2025


Gespräch zwischen Ulrich Schneider und Robert Schad am 7. Dezember 2024

Warum haben Sie für Ihr neues Skulpturenprojekt den Norden gewählt?

In Ravensburg in Oberschwaben, wo ich geboren bin, geht der Blick vor allem nach Süden. Bei gutem Wetter sieht man den Bodensee und die Bergketten der Alpen. Im Norden bildet die Schwäbische Alb eine natürliche Barriere, die in meiner Kindheit dafür sorgte, dass alles, was nördlich lag, fremd blieb. Ich habe dann in Karlsruhe studiert, in der nördlichsten Stadt, in der ich je war und in der ich mich sehr wohl gefühlt habe. Es war wirklich eine schöne Zeit. 1980 brachte mich ein Stipendium nach Porto in Portugal. Von da an richtete sich mein Fokus auf die iberische Halbinsel.

Erste Ausstellungen, weitere Stipendien und öffentliche Projekte in Berlin, Bremen und Hannover, in Braunschweig, Goslar, Nordhorn und Wilhelmshaven und im Ruhrgebiet öffneten mir schließlich den Horizont nach Norden. Eine Ausstellung in der Kunsthalle Wilhelmshaven 1993 und ein Auftrag des Kunstraum Sylt für eine Großskulptur in Rantum brachten mich erstmals mit Schleswig-Holstein in Berührung. Und dann war da noch meine Ausstellung im Heizmann-Museum in Niebüll 2019, die mich sehr motiviert hat, ein Skulpturenprojekt für den Norden Deutschlands zu planen mit dem Ziel, die Region mit meinen Skulpturen zu erkunden. Uwe Haupenthal, der damalige Museumsdirektor, der übrigens über Wilhelm Loth, meinen Lehrer in Karlsruhe, promoviert hat, hat mich dazu angeregt. Er kannte auch Franz Bernhard, der ebenfalls ein ehemaliger Schüler von Loth war und mit dem ich zu Lebzeiten ein sehr enges Verhältnis hatte.

 

Welches Konzept liegt dem Projekt zugrunde?

Das Skulpturenprojekt Blickweit ist keine Skulpturenausstellung im herkömmlichen Sinne. Es ist die aktuelle Station einer Skulpturenreise, die mich durch mehrere Länder Europas, darunter Deutschland und Österreich, geführt hat.  Es geht mir darum, mit meinen Skulpturen symbolträchtige Orte zwischen Nord- und Ostseeküste aufzusuchen. Vergleichbar mit einer Reisegruppe reisen meine Skulpturen von Ort zu Ort, kommen an, steigen aus, bleiben eine Weile, machen spezifische Erfahrungen und reisen wieder weiter. Die Skulpturen können als imaginärer roter Faden gesehen werden, der den Betrachter einlädt, ihm zu folgen, um die Region aus neuen, ungewohnten Perspektiven kennen zu lernen. An den Orten, an denen die Skulpturen stehen, wird diese imaginäre Linie, die nur in der Vorstellung existiert und das Land durchzieht, zu Materie, zur Skulptur, um sich dann immateriell weiter zu bewegen und am nächsten Ort als haptische Stahllinie, als nächste Skulptur, wieder präsent zu sein. So entsteht eine Abfolge von Realitäten und Imaginationen. Man könnte das Projekt auch als Perlenkette bezeichnen, die erst als Ganzes ihre volle Wirkung entfaltet.

Man könnte das Projekt aber auch so beschreiben, wie es ein findiger Journalist getan hat, der feststellte, dass die Skulpturen wie Pilze aus dem Boden schießen, das ganze Land bevölkern und durch ein unsichtbares Myzel miteinander verbunden sind.

Die Skulpturen sind keine formalen Variationen, sondern unterscheiden sich deutlich voneinander, so dass ein vielgestaltiges Mosaik unterschiedlicher Orte entsteht, die miteinander kommunizieren. Der Betrachter ist eingeladen, an dieser Kommunikation teilzunehmen. Mir ist es wichtig, mit unserem Projekt nicht nur ein kunstinteressiertes Publikum anzusprechen, sondern auch Menschen, die einfach neugierig sind und mit offenen Augen durch die Welt gehen. Ich möchte eine Kommunikation zwischen den verschiedenen Orten, aber auch zwischen den Besuchern schaffen.

Die Skulpturen nehmen eine aktive Rolle in der Wahrnehmung ein, da sie zu vielfältigen Assoziationen anregen und sich ihre Wirkung in der alltäglichen Begegnung nicht erschöpft. Überraschend ist für mich, wie sich die Beziehung der Skulptur zum jeweiligen Ort auswirkt. Ein und dieselbe Skulptur kann z.B. im urbanen Kontext eine ganz andere Bedeutung bekommen als in der freien Natur, in der gewachsenen Natur. Dabei entwickelt jede dieser „Reiseskulpturen“ eine Art skulpturales Gedächtnis, das in der Wahrnehmung einer bestimmten Skulptur am aktuellen Ort die Tatsache einschließt, dass sie vorher irgendwo anders gestanden hat und ganz andere Bezüge eingegangen ist. Einige Besucher meiner Skulpturenprojekte, mit denen ich heute noch in Kontakt stehe und die die früheren Reisen miterlebt haben, bestätigen diesen Eindruck.

 

Wie wählen Sie die Orte aus, an denen Sie Skulptur und Natur oder Skulptur und Architektur miteinander verbinden wollen?

Mein Ausgangspunkt ist Reiseliteratur, danach eine Landkarte, die ich mir anschaue, um mir einen Überblick über die Region zu verschaffen. Natürlich kommen dann die Orte dazu, die ich schon besucht habe und kenne. Anschließend schreibe ich ein Rundschreiben an diejenigen, die für die Orte zuständig sind und mit ihnen zu tun haben. Dabei zeigt sich, wer sich für die Idee öffnen könnte und wer nicht. In unzähligen Gesprächen, in denen wir das Projekt vorstellen, geht es dann weiter. In diesen Gesprächen werden wir auch auf andere Orte aufmerksam, die in den Kreis der potentiellen Teilnehmer aufgenommen werden können. Manchmal ist es aber auch der reine Zufall, der uns an interessante Orte führt. So finden wir uns an Orten wieder, an denen man eine solche Skulptur gar nicht vermutet, wie zum Beispiel im Planet Alsen in Itzehoe, in einer ehemalige Zementfabrik, die inzwischen ein Ort der Graffiti- und Alternativkultur geworden ist, beim Heavy Metal Festival in Wacken, in Windkraftanlagen in Nordfriesland, an der Fährbrücke in Rendsburg oder einfach vor einer Zahnarztpraxis. Aber auch Orte des Denkmal- und Landschaftsschutzes sowie private Orte sind dabei.

 

Die Erschließung einer Region durch Skulpturen ist keine kleine und keine billige Aufgabe. Unabhängig von den Skulpturen selbst ist es eine logistische und zeitliche Herausforderung, die es zu meistern gilt. Wie wird das Projekt finanziert?

Kunst ist in unserem Fall für die Teilnehmer nicht umsonst, denn wir sind finanziell im Wesentlichen auf uns selbst gestellt. Wir erheben für jeden Standort eine Leihgebühr, mit der wir den Transport, die Herstellung von Katalog, Einladungskarte und Plakat, Werbung, Website und Kommunikation sowie unsere Spesen bezahlen. Wir bitten die Teilnehmer, sich um den Auf- und Abbau der Skulptur zu kümmern, sie zu warten und zu pflegen und Genehmigungen einzuholen. Letzteres hat unsere Arbeit nicht gerade erleichtert. Das Aufstellen einer Skulptur ist manchmal nur über einen langen bürokratischen Weg möglich. Damit hatte ich nicht gerechnet.

 

Wie muss man sich die Entstehung Ihrer Skulpturen vorstellen?

Der Ausgangspunkt meiner Skulpturen ist ein automatischer Gedanke, eine Art Formimpuls, der mir unreflektiert in den Sinn kommt. Die Älteren unter uns kennen vielleicht den Prozess der Telefonzeichnungen auf der letzten Seite des Stenoblocks, wo sich solche Gedanken auf dem Papier ausbreiten. Das sind automatische Zeichnungen. Und wenn sich ein solcher Gedanke wiederholt und verfestigt, versuche ich, diesen Impuls in kleinen Modellen plastisch zu visualisieren und auszuprobieren, ob das Gefühl für die spontane Form reif genug ist, um sie in eine größere endgültige Form zu bringen. Dieser Entstehungsprozess lässt sich nicht bewusst steuern. Er geschieht oder er geschieht nicht. Nur ein kleiner Teil dieser ersten Ideen findet den Weg vom Papier zur dreidimensionalen Umsetzung. Die entstandenen Formen können auch Hinweise auf Empfindungen und Erinnerungen an konkrete Situationen enthalten, die wir aus unserem Körper oder aus der Wahrnehmung von Architektur oder Natur kennen. So wachsen manche Skulpturen wie Pflanzen, von einer inneren Kraft in den Raum getrieben. Andere erinnern an Menschen, die im Raum tanzen, an seine Gliedmaßen. Die geraden Elemente entsprechen den Knochen, die geschweißten Übergänge den Gelenken, um in diesem Bild zu bleiben.

Trotz ihrer Starre vermitteln meine Skulpturen Bewegung, sie scheinen im Moment des Betrachtens innezuhalten, die Zeit scheint angehalten. Trotz ihrer oft beträchtlichen physischen Schwere wirken meine Skulpturen meist körperlich leicht. Verständlich, dass ein Kerl wie ich, der über zwei Zentner auf die Waage bringt, manchmal von körperlicher Leichtigkeit träumt. (lächelt)

 

Ihre beschriebene Methode entspricht der Écriture automatique bei der Bilder, Gefühle und Gedanken unzensiert, ungefiltert und damit unmittelbar zu Papier gebracht werden. Das ist ein sehr spannender Entwurfsansatz. Haben Sie daneben weitere Anliegen, die S^ie mit Ihren Skulpturen ausdrücken wollen?

Ja, dabei geht es mir um Kunst und Kunstgeschichte. Ich möchte die Geschichte der Stahlkultur mit ihrer Haptik, Sinnlichkeit und Ambivalenz in unsere digital und virtuell dominierte Welt hineinschreiben. Ich habe fünf Semester Kunstgeschichte studiert, bin also auch mit Architektur und Skulptur vertraut und habe natürlich den Ehrgeiz, mich innerhalb der Stahlskulptur zu artikulieren. Vielleicht bin ich nach Julio Gonzalez, Anthony Caro, Eduardo Chilida, Ricard Serra, Giuseppe Spagnulo, Bernard Venet, um nur einige zu nennen, der letzte, der das in Stahl macht, der letzte Dinosaurier, wie man so schön sagt. Aber vielleicht bin ich unter meinen Vorgängern derjenige, der seine Impulse am wenigsten aus dem Stahl selbst bezieht und am meisten versucht, über den Stahl hinaus zu wirken. Es geht mir um Geschichten, die ich nur über meinen Körper denken und über die Linie als Raumzeichnung in Stahl erzählen kann. Dabei ist es mir wichtig, so wenig Variationen wie möglich zu machen und bei jeder Skulptur neu anzufangen, was immer wieder zu neuen Entdeckungen führt. Reiner Formalismus interessiert mich nicht. Ausstellungen sind für mich Choreographien, in denen ich meine Stellvertreter tanzen und verschiedene skulpturale Charaktere auftreten lasse. Das alles hat viel mit Organisation zu tun, mit Tanzchoreografie.

 

Dass das Material für Sie wichtig ist, wird sehr deutlich. Aber welche Rolle spielt ausgerechnet Stahl dabei?

Dieser Werkstoff fasziniert mich einfach, es gibt ihn flüssig, gegossen, gewalzt, geschmiedet und geschweißt und er ist vielseitig einsetzbar. Stahl ist das Material der Waffen, der Konstruktionen, der Maschinen und bildet die Grundlage für die industrielle Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert.

Der Mensch geht unter Tage, baut Eisenerz ab, das dann gekocht wird, das Eisen trennt sich von der Schlacke. Da Eisen allein nicht weiterverarbeitet werden kann, werden andere Metalle wie Chrom, Nickel und Kupfer hinzugefügt. In die flüssige, glühende Suppe wird Sauerstoff eingeblasen, um den Kohlenstoffgehalt zu reduzieren, zu verringern, und daraus wird schließlich der Stahl, mit dem ich arbeite. Der Einsturz der Türme des World Trade Centers in New York 2001 hat uns die statischen Grenzen dieses Materials vor Augen geführt. Die Hitze ließ das Material schmelzen und die Gebäude einstürzen. Inzwischen gibt es neuartige Baustoffe, die die extremen Belastungen von Stahl bei weitem übertreffen und Stahl als Werkstoff ablösen. So beginnt sich Stahl aus seiner ausschließlichen Rolle als Konstruktionswerkstoff zu lösen.

 

Sie haben vorhin sehr eingängig beschrieben, dass Ihre Skulpturen auf unwillkürliche Zeichnungen zurückgehen. Welche Bedeutung nimmt dabei die Linie ein?

Meine Skulpturen können als Raumzeichnungen verstanden werden. Die Linie ist Zeit und Bewegung. Die Lebenszeit verläuft linear von der Geburt bis zum Tod, manchmal in heftigen Bahnen, manchmal wild gestikulierend, manchmal ruhig und ausgeglichen – je nach Stimmungslage. Und so unterschiedlich sich diese Lebenslinien manifestieren können, so unterschiedlich sind auch die Formen, die daraus entstehen. Die Tatsache, dass diese einfachen Linien, so wie sie geschrieben sind, aus Stahl sind, fordert meine ganze Energie heraus, den Widerstand dieses Materials zu überwinden und ihn nicht zu thematisieren, sondern für eine Ausdrucksweise zu nutzen, die dem Stahl eigentlich völlig widerspricht. Gerade dieser Widerspruch reizt mich, obwohl ich mit dem Schweißen und Schleifen nicht gerade die einfachste Arbeitstechnik gewählt habe. Um mit Stahl zu arbeiten, braucht man Verständnis für das Material, ein Gefühl für Statik und viel Ausdauer.

 

Bewegung und Dynamik sind wiederkehrende Motive seiner Skulpturen.

Damit besteht eine große Nähe zur menschlichen Bewegung, zum Tanz, in dem Gedanken, Gefühle und Emotionen in Bewegung umgesetzt werden.

Spielt der zeitgenössische Tanz eine Rolle in Ihrer Arbeit?

1986 realisierte ich eine 146 Meter lange Installation im Fußgängertunnel zwischen dem Landtagsgebäude und dem Abgeordnetenhaus in Stuttgart, der täglich von Hunderten von Abgeordneten und Besuchern genutzt wird. Dabei wurde mir bewusst, wie sehr meine Skulpturen, die auf die Begegnung mit Menschen angewiesen sind, z.B. wie der einzelne Benutzer durch seine Erscheinung und seinen Gehrhythmus die Wahrnehmung des Raumes und der Skulptur beeinflusst. 1988 lernte ich den Tänzer Gerhard Bohner kennen, einen Meister des zeitgenössischen Tanzes, mit dem ich unbedingt zusammenarbeiten wollte. Seine Aussage bei der Besichtigung des Tunnels „Was soll ich hier tanzen? Der tanzt doch schon!“ hat mich ziemlich frustriert. Nach intensivem Ausloten der gegenseitigen Ansprüche und Möglichkeiten entstand dann 1989 mit ihm das Skulptur-Tanzprojekt Im goldenen Schnitt //, das in der Akademie der Künste in Berlin uraufgeführt wurde. Mein Bezug zum menschlichen Körper und seinen Gliedmaßen hat hier seinen Ursprung. Sein existenzieller und experimenteller Umgang mit dem Körper als lebendige Skulptur im Raum hat meine bildhauerische Arbeit stark beeinflusst. Er war vielleicht mein einflussreichster Lehrer, ohne dass er sich dessen bewusst war. Später arbeitete ich mit Susanne Linke, Urs Dietrich, Avi Kaiser, Francine Lévy, Ulrich Spieß, Fine Kwiatkowski, Anna Huber, Katja Fleig und Isabelle Schad, mit denen ich meine Erfahrungen mit Tanz und Bewegung erweitern konnte.

 

Gibt es in nächster Zeit weitere Projekte, in denen Sie sich mit dem Tanz auseinandersetzten?

Ja, für 2025 bereite ich ein neues Projekt mit dem afrikanischen Tänzer Koffi Kôkô vor, für den afrikanische Spiritualität eine große Rolle spielt. Koffi ist Voodoo-Priester. Ich bin sehr gespannt auf diese Erfahrung und hoffe, dass ich ihm mit meiner Raumgestaltung ein stimmiger Partner sein kann. Ich denke, ein solches Projekt, das den Dialog beider Kulturen auf Augenhöhe zeigt, ist gerade in unserer Zeit, in der die Migration aus Afrika überall negativ den Diskurs prägt, notwendiger denn je.

 

In Schleswig steht Ihre Skulptur Dyrill in einer barocken Gartenanlage in unmittelbarer Nähe zu Skulpturen anderer Künstler, der prominenteste ist dort Tony Cragg.

Wie sehen Sie das Verhältnis Ihrer Skulptur zur Arbeit von Tony Cragg?

Obwohl die Skulpturen, die in Sichtweite zueinander stehen, formal sehr unterschiedlich sind, haben sie eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Beide beziehen sich auf den menschlichen Körper und beide definieren Bewegung im Raum. Bei Tony Cragg ist es der Kopf, der in eine Zentrifuge geraten ist und eine Parität zwischen Form und Umbau eingeht. Der Außenraum und die Form greifen so in einander, dass sie absolut gleichwertig sind. Der Außenraum spiegelt die modellierte Form wider. Meine Skulptur Dyrill schraubt sich vertikal in den Raum. Die Addition gerader Formteile hat – wie gesagt – mit dem Aufbau menschlicher Gliedmaßen zu tun. Wo beim Arm die Gelenke reale Mobilität ermöglichen, vermitteln die verschweißten und verschliefen Übergänge zwischen den stählernen Formmodulen der Skulptur eine Bewegungsmöglichkeit, die im Moment der Betrachtung inne zu halten scheint. Der von den Stäben umschlossene Raum ändert sich erst beim Umrunden – bei der Interaktion mit dem Betrachter – lässt die Skulptur atmen und schafft immer wieder neue Perspektiven. So macht die Skulptur die eigene Körperbewegung bewusst. Das ist auch ein Merkmal der Skulptur von Toni Cragg. Insofern gibt es Achsen zwischen der Skulptur von Tony Craig und mir, die an dieser Stelle durchaus schlüssig sind.

 

 

Was erwarten Sie von Ihrem Projekt im „Echten Norden“?

Ich hoffe natürlich, dass sich möglichst viele Besucher auf den Weg machen, um über meine Skulpturen die Region zu erkunden. Ich wünsche mir, dass meine Skulpturen zu vielfältigen Assoziationen anregen und dass sie in den zwei Jahren, in denen sie im Norden stehen, auch Menschen auf eine Reise in ihre eigene Gedankenwelt mitnehmen, die normalerweise nicht ins Museum gehen. Das Projekt richtet sich an alle und ist kostenlos. Es richtet sich an alle, die bereit sind, ihre Umgebung mit offenen Augen und offenem Geist wahrzunehmen und zu erforschen. Es wäre schön, wenn nach dem Abbau in zwei Jahren der Eindruck entstehen würde, dass vor Ort etwas fehlt, wenn die Skulptur nicht mehr da ist. Bei meinen bisherigen Projekten hatten die Leute jedenfalls dieses Gefühl. Das hat mir gezeigt, dass meine Skulpturen etwas bewirkt und hinterlassen haben und dass ich nicht allzu viel falsch gemacht habe.

 

Gibt es schon Pläne für die Zukunft? Welche Orte werden Sie anschließend mit Ihren Skulpturen erkunden?

Was die nächste Station meiner Skulpturenreise sein wird, weiß ich noch nicht, auf jeden Fall treibt mich die Neugierde an, mit meinen Skulpturen weiter Erfahrungen zu machen, an Orten, die ich noch nicht kenne, die ich aber kennenlernen möchte.


Kuratorisches Konzept Inga Harenborg

An unserem neuen Projekt, das sich mit 24 Skulpturen des renommierten Stahlbildhauers Robert Schad, durch den öffentlichen und naturnahen Raum Schleswig-Holsteins bis an die Grenze Dänemarks erstreckt, begeistert mich die Bewegung als ästhetische Größe, künstlerisches Phänomen und Forschungsgebiet. Bewegung bedeutet für mich Dynamik und Veränderung, oft auch Transformation. Ist ein Körper in Bewegung, so ist er lebendig…

Die nomadische Alternative

Als eine nomadische Alternative zum Museum und Ausstellungshaus ermöglicht eine Ausstellung, die sich wie ein roter Faden durch das Land – oder gar verschiedene Länder – zieht neue Formen der Wahrnehmung von Kunst und -Räumen. Quer zu sozialen, ästhetischen und technologischen Kontexten kann sie Beziehungen zu wechselnden Orten, ihren Bewohnern, unterschiedlichsten Lebensformen und Geschichten herstellen.

Nach Italien, Portugal, Österreich sowie verschiedenen Regionen Deutschlands und Frankreichs ist „BLICKWEIT“ die 17te Station einer Ausstellungsreise, die seit 2011 durch Europa führt und nun Ihre nördlichste Destination erreicht. Bestehend aus naturbelassenem massivem Vierkantstahl des konstanten Querschnitts von 10 x 10 cm zieht sich eine „rote Linie“ durch das Land, die den Betrachter leitet und begleitet. Sie führt in Natur- und Kulturlandschaften, an Museen, Ausstellungs- und Veranstaltungsorte, an Haubarge und Dreiseithöfe, an Häfen, in Gärten, Windparks und natürlich an die See. Ähnlich wie die Natur scheinen Robert Schads in den Raum geschriebene Arbeiten von einer inneren Kraft angetrieben, und obgleich sie tonnenschwer und starr sind, leicht und in Bewegung zu sein. Das Material ist dabei für ihn Ziel, nicht Mittel. Aus der Addition unterschiedlich langer, gerader Teile, die wie Glieder eines organischen Körpers verschweißt werden, entstehen die zum Teil eigens für die Region entwickelten Skulpturen. Sie gehen einen lebendigen Dialog mit ihrem Umfeld ein und vermitteln den Eindruck, als seien sie am Ort gewachsen bzw. mit ihm verwachsen.
Wie eine Kette aus „Perlen“ reiht das Skulpturenprojekt die ausgewählten Orte aneinander. Als Gesamtschau angelegt, können sie jedoch auch individuell als einzelnes Kunst-Raum-Erlebnis wahrgenommen werden. Frei zugänglich bilden die Arbeiten die größte zusammenhängende monografische Ausstellung, die hier bisher im öffentlichen Raum gezeigt wurde.

Kunst verlässt das Museum und ist kostenfrei für alle zugänglich. Sie begegnet auch den Kunstunkundigen auf Augenhöhe und beschreibt oder kommentiert keinen vorbestimmten Sachverhalt. Die Skulpturen stehen im Weg und suchen den Dialog mit den Betrachter*innen, wollen herausfordern und zum Denken anregen an Orten, wo man sie nicht erwartet. Sie sind haptisches und sinnliches Gegenüber in einer vom Virtuellen und Digitalen geprägten Welt.

BLICKWEIT schafft Kommunikation und Verbindung zwischen den Orten und ihren Besucher*innen. So lädt die Ausstellung dazu ein, über den Besuch der Skulpturen die Region aus neuen und ungewohnten Perspektiven für sich selbst zu entdecken und dabei emblematischen Orten zu begegnen, auch jenen, die nicht im Reiseführer zu finden sind.

Die transformatorische Kraft der Skulptur

Wie kann etwas zugleich starr und in Bewegung sein, Tonnen schwer und dennoch leicht und dynamisch in der Wirkung? Warum starten die Skulpturen sofort den Dialog mit ihrem Umfeld, ganz gleich wo? Was ist ein Skulpturales Gedächtnis? Welche Bedeutung hat unsere Körpererinnerung bei der Perzepfon von Robert Schads Arbeiten? Welche Bedeutung hat die Linie im Werk von Robert Schad? Wer ist SMANYU?

BLICKWEIT lädt zur Auseinandersetzung mit den individuellen Eigenschaften der Kunstwerke und davon ausgehenden materiellen und immateriellen Vorstellungsbildern der Betrachter*innen ein.
Robert Schads »Raumbewegungen« sind alles andere als abgeschlossene »fertige« Kunstwerke. Vielmehr ist ihrem Wesen das transformative Moment tief eingeschrieben. Schad zeigt Wachstum und Bewegung und sieht sich darin mit der Ambivalenz von Dynamik und Momentaufnahme konfrontiert. Dabei lässt sich das Transformative nicht nur innerhalb des Entstehungsprozesses der einzelnen Werke, sondern im gesamten Schaffensprozess belegen. Wie eine Momentaufnahme scheint die einzelne Skulptur innerhalb einer rätselhaften, stetig stattfindenden dynamischen Wandlung auf, indem seine Linie – jeweils aus den vorangegangenen Skulpturen heraus – von der einen in die andere Arbeit übergeht. So, als würden sich die Skulpturen ins Unendliche ausdehnen und einander durchdringen.
Die wechselwirksamen Beziehungen und Befindlichkeiten zwischen Skulptur, Betrachter und dem sie temporär umgebenden Raum/»Environment« werden in der Begegnung sicht- und fühlbar. Stichworte wie »skulpturales Gedächtnis«, »Körperwissen«, »virtuelle Choreografie« und »belebte Materialität«, »Kommunikation«, »Wachstum«, »Wanderung« und »Verortung« geben der Ausstellung einen neuen Impuls. Aber auch Fragen nach Sinn und Aufgabe von Kunst im öffentlichen Raum und deren Bedeutung für zeitgenössische Strömungen sind hier interessant.

Herausforderung und Chance

Analog zur Ausstellung in Bremen 2020/21, wird die Ausstellung durch mehrere Besucherzentren, in Museen und Galerien ergänzt. Neben der Kunst im öffentlichen und naturnahen Raum entstehen hier Ausstellungsbereiche, die die Entstehung der Schau dokumentieren, mit weiteren Arbeiten und werkimmanenten Inhalten komplettieren und ggf. im Dialog mit ausgewählten Positionen der Häuser unterschiedliche Perspektiven auf das Werk Robert Schads ermöglicht. In Kooperation mit Kunst- und Kulturschaffenden ergänzt ein Begleitprogramm mit lebendigen Vermittlungsformaten die Ausstellung und eröffnet ein künstlerisches Experimentierfeld.

Interessant ist es BLICKWEIT als europäisches Regionalprojekt vorzustellen und sich mit den unterschiedlichen Kulturinstitutionen und Gemeinden zu vernetzen, um möglichst nachhaltig agieren und Synergien nutzen zu können. Mit seiner europäischen Verlaufsgeschichte kann BLICKWEIT so als kulturelles Highlight und Aushängeschild für die Region fungieren.

An der Schnittstelle der sich durch das Land bewegenden Skulpturen-Linie, den verschiedenen öffentlichen Räumen und Orten, die temporär zu ihrer Bühne werden, sehe ich die Chance, Projektinhalte zu entwickeln, die die jeweiligen Ausrichtungen und Interessengebiete der unterschiedlichen Häuser, Einrichtungen und Kunst- Räume quer zu bestehenden Inhalten und generationsimmanenten Themen einbeziehen, erproben und erforschen und eventuell sogar den virtuellen Raum einer »Cloud« für die sinnlich-haptische Präsenz der Stahlskulpturen Robert Schads entdecken und zwar im Sinne eines »sowohl als auch«, das besonders jungen Menschen bewegliche Zugänge zur Kunst bzw. zur Arbeit Robert Schads eröffnet und jüngeren Künstlergenerationen Reibungsflächen für eigene künstlerische Ausdrucksformen und Resonanzräume bietet. Neues und Bestehendes zu integrieren und »BLICKWEIT« auch in Bezug auf die europäische Dimension von Robert Schads trans- und interdisziplinärem Skulpturen-Projekt mit generationsübergreifender Ausrichtung zu realisieren, darin liegen hier Herausforderung und Chance.

Als die Museen und Galerien 2020 wegen Covid-19 schließen mussten, wurde die Kunst im öffentlichen Raum zum beliebten Ausflugsziel. Covid-19 ist noch immer allgegenwärtig und wird zukünftig auch weiter das kulturelle Leben und damit auch den Kunstbetrieb prägen. Ausstellungsformen, die quer zu den überkommenen Ausstellungspraktiken neue Zugänge zur Kunst ermöglichen gilt es zu entwickeln und genau dort setzt »BLICKWEIT« an, denn bei Robert Schads Skulpturen handelt es sich um Kunst, die dazu auffordert, sie aufzusuchen, und ihren vielfältigen Dialog mit den jeweiligen Orten zu erkunden. Ihre scheinbare Beweglichkeit setzt sich in jeder Umgebung durch. Sie setzt Energie frei, schafft Kommunikation und verbindet Menschen (und Einrichtungen), die in der Kooperation einiges über ihre eigene Stadt / ihren eigenen Standort lernen. So kann sie auch den kunstunkundigen Betrachter ansprechen und von Ihm erlebt werden. Wenn (kleinere) Organisationen auf Augenhöhe zusammenarbeiten und dabei jeweils ihre eigenen Schwerpunkte setzen, entsteht etwas Großes. Kunst ist ein wunderbarer Anlass für Kommunikation. Vertrauen und Improvisationsvermögen sind Säulen von Kultur, die gepflegt werden müssen. (1)

(1) (vgl. Inga Harenborg & Ari Hartog in »Bremen vierkant. Robert Schad«, 2022